Life is live!

Traktoren, Bügelwäsche, Steaks – und absolut Judo in Düsseldorf

Abbildung Life is live!

Es riecht nach Bügelwäsche und frisch gebrühtem Kaffee, als Katharina Menz in ihren Kampf geht. Die Mitsubishi Electric Hall tief im Süden Düsseldorfs ist noch ruhig,
Freitagfrüh. Das wird sich bald ändern. Erster Tag des Judo Grand Prix Düsseldorf 2015.
Swantje Kaiser gewinnt nun ihren ersten Kampf. Vor dem Fenster rattert ein Traktor vorbei. Als Andi Tölzer sagt, er hungere manchmal, 22 Kilo habe er seit dem Ende seiner Wettkampfkarriere abgenommen, umweht Bratenduft eines Entrecotes meine Nase. Der Düsseldorfer Judo Grand Prix ist mit keinem anderen GP zu vergleichen“, sagt André Breitbarth. Meint er den Traktor?

Judo Grand Prix - auf sportdeutschland.tv

Nein. Er spricht von jungen Fans, die Autogramme wollen. In Düsseldorf kämen sie unkonventionell und fast bis an die Nasenspitze der Sportler heran.
Die Electric Hall hat auch kein Fenster, jedenfalls nicht auf Mattenhöhe. Geschweige denn Traktoren auf dem Parkplatz. In der VIP Lounge dürfte es einiges geben, aber Entrecotes mit Zwiebeln, Kapern und Crème fraîche?
Wir sind im Web, genau: Beim DJB und bei sportdeutschland.de, das den JGP live im Web überträgt. Der Rest, also die Welt der Ackerkrume, spielt sich bei mir ab, irgendwo hoch im Norden Düsseldorfs: Vom Rechner zum Acker sind es kaum zehn Meter – aber wer kuckt schon raus, wenn, wie jetzt, Mareen Kräh zulangt.

Annett Böhm, Stimme des Web-TV, versteht es, Begeisterung in ihrer heiter-gelassenen Art „on air“, pardon, ins Web zu bringen. Knapp aber mit einem Tonfall, der alles ausdrückt, sagt sie: „Klar. Mareen.“ Bronze.
Doch: Weshalb diesen großen Wettbewerb im Web anschauen, wenn man, wie der Autor dieser Zeilen, um quasi die Ecke lebt? Die Gesundheit hält davon ab, mich der wundersamen - und wunderbaren - Mischung aus Hallengeruch, Sound eines unnachahmlichen Hallensprechers, Backstage-Schweiß und Feierlichkeit der Hymnen am Abend aussetzen zu dürfen.



Die Qual der Wahl

Dass dies, also ein Web-Judo Grand Prix, ganz anders ist, als „live“ wird sofort klar. Eben verliert ein Japaner durch Ippon, und im „Off“ geht bei den Moderatoren die Diskussion los, ob es nicht doch nur ein Wazari war. Die Zeitlupe klärt es nicht – wer aber könnte sich, ob im Publikum oder auf einer Pressetribüne, so etwas weitere zehn Mal anschauen? Genau, die Kampfrichter. Life gibt es eben doch nur live.

Das Internet bietet andere Vorteile (ganz abgesehen davon, dass ja nicht die gesamte Judowelt ins Dorf an der Düssel einfliegen könnte): So kann man (muss aber nicht) immer den deutschen Judoka „auf der Matte“ folgen. Für jede Tatami gibt es im Web-TV einen Kanal – leider noch nicht mit Splitscreen-Technik. Wer gute Kämpfe hautnah erleben möchte, hat im Web nur eines: die Qual der Wahl.



Im Web – und mit Live-Reportern in der Halle

Am Abend hat Mareen die Medaille, und einer, nämlich ich, der sich so gut wie nicht bewegt hat, ist total platt. Judo am Rechner, fast volle Konzentration – vielleicht sollte man ja doch mal Web-Randori für kränkelnde Journalisten einführen.

Zum Glück sind gleich zwei Freunde, beide Judoka, als Live-Vor-Ort-Reporter von mir in die Halle entsendet worden. Sie fangen Fotos und Zitate ein und sichern den unwahrscheinlichen Fall ab: Ausfall des Streams (was am Sonntag tatsächlich (kurz, puh) passiert. „Schon die Vorkämpfe haben (Welt)klasse-Format“, lautet die erste Whats App des jungen Reporters aus der Halle. Was bei diesem Starterfeld kaum verwundert, aber ein gutes Zitat ist. Außerdem: Von Beginn an, dies für die Nicht-Judoka, wird nur KO gekämpft. Allein schon in die Hoffnungsrunde zu kommen, bedeutet harte Arbeit von Beginn an. Oder, um es knapp, aus der Ruhe eines Rechnerplatzes und für eine Überschrift griffig zu sagen: Jeder Kampf ein kleines Finale. Am Abend ist die Freude groß: Laura Vargas Koch trägt das Zitat des Tages bei: „Da haben wir nochmal einen schönen Abschluss-Ippon“. Charline van Snick erhält von mir den Ehrenpreis für den schönsten Siegestanz: Kupferrotes Haar und ein Strahlen, als hätte es nie eine Anstrengung gegeben. Großaufnahme! Ja, ich liebe Web-TV.



Schnittchen von Mutti

Samstag: Das Web bietet heute eine Kaskade von Wort-Ippons. Am Abend kommen sogar Medaillen für die Deutschen hinzu. Was aber kann Sätze wie diese toppen: „Die Mahlzahn-Familie reist überall mit hin, wenn es möglich ist; die Schnittchen kommen von Mutti.“ Wer das sagt? Klar, Luise Mahlzahn, an diesem späten Morgen Co-Moderatorin im Web-TV. Lui, wie sie genannt wird, ist sozusagen in Top-Kommentatorinnenform. Wer ihr zuhört, sieht den Kampf: „Der Koreaner macht wirklich Ballett.“ Und dann so ein Spruch: „Gewinnen in Düsseldorf macht Spaß.“ Das mir. Als Düsseldorfer. Lui – der Wahnsinn! Kurz darauf: „Die wird ge-coacht von Vati“. Mit Schnittchen?, denke ich heimlich. Pfiffig auch Lui`s: „Hier sind gute deutsche Kampfrichter … am Start.“ Klar: Polizeikommissarin Luise Mahlzahn wie auch die Weltklasse-Schiedsrichter Hempel und Co. sind unverdächtig, parteiisch zu sein. Lui ist, das merkt man ihrer starken Mitkommentierung an, aber eine, die die Bedeutung guten Schiedsens im Judo ausspricht. „Ich ziehe den Hut“, sagt Annett. Zwar meint die gerade Judoka, die Studium und Leistungssport verbinden müssen, aber: Das Kompliment gebührte auch Lui, die meinen „Düsseldorf-Grand-Prix der Web-TV-Co-Kommentatoren“ gewinnt.



Kurzer Ausflug ins Tierreich


Dennoch: Webstream hat auch Nachteile. Manche kommen unerwartet. „Du siehst keine (Zeit)tafel, das ist furchtbar“, sagt meine Co-Reporterin, als sie am Frühabend zu Besuch in den Düsseldorfer Norden kommt. Noch laufen Kämpfe, sie fiebert jetzt am Schirm mit. Tatsächlich: Die Kameras haben tatsächlich so gut wie nie die Kampfzeit im Bildausschnitt. Sponsoren dürften dafür der Grund sein, deren Logos mitten ins Bild gerückt werden. Judo braucht ja gutes Sponsoring. Ich lasse Verständnis walten. Kehren wir zurück auf die Web-Matten; es ist nun Sonntag. Sven Maresch, am Vortag noch mit Medaille, konkurriert nun bei mir, ohne das zu wissen, hart mit Lui um die Krone des besten Co-Kommentatoren. Tatsächlich: Ich splitte Gold – für Zitate wie diese: „Das sieht manchmal aus wie Bewegungen aus dem Tierreich“, sagt er, und meint einen Übersteiger (pardon, Fußballsprache) im Schwergewicht. Minuten später wird Sven von einem „Trainingsschwein“ sprechen, das „nebenbei auch noch Jura studiert“.

Flapsigkeit, deftige Sprachbilder und Respekt, bei ihm funktioniert das bestens. Gleichzeitig sind die Kommentatoren am Sonntag in Höchstform -  professionell, informativ, unterhaltsam und: sehr originell. Man lernt viel von ihnen über Judo. Annett Böhm und Sven Maresch wünschen sich für Judo als Leistungssport mehr Beachtung in den Medien. Vielleicht Judo im Schulsport? - denkt man sich als Journalist. Da würde Annett wohl auch nicht widersprechen. Sven Maresch hat zudem die besondere Gabe, Sprache äußerst knapp und auf den Punkt einzusetzen. „Das ist Judo: Angriff und Verteidigung zu verschmelzen“, formuliert er. Ippon für diese Top-Definition, Sven!

Absolut live

Was aber kann, bei allem Guten, das der Livestream bringt, nur ein Besuch „live in der Halle“ bieten? Man kann im Web nicht mal so eben zu den Volunteers schlendern, die immer freundlich eine Cola bereithalten. Oder: Luc, belgischer Journalistenkollege,
Judofachmann und oft mein Platznachbar, kann mir keinen seiner nüchtern-trockenen Kommentare rüberschieben. Besonders schade: Die Gespräche mit den deutschen Judoka in Pausen und das - manchmal sogar erhabene - Gefühl beim Klang der Hymnen - all das gibt es nicht im Internet. Jedenfalls nicht so. Schon gar nicht eine solche Fankurve, die in Düsseldorf eine Fan-Gerade voller Judo-Verrückter ist.
Deshalb steht es für mich fest: 2016 wieder Judo Grand Prix in der Halle. Nur life ist eben live. Was Annett Böhm sicher mit ihrem klassischen: „absolut!“ kommentieren dürfte. Vielleicht lässt sie sich ja kommendes Jahr sogar ein wenig über die Schulter … hören?


Text: Peter Zarth
Fotos: Birgit Arendt


Der Düsseldorfer Peter Zarth (1. Kyu) war Redakteur der FAZ und Pressesprecher in mehreren Unternehmen. Zarth schreibt ehrenamtlich für den DJB.

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