„Man braucht auch Glück“

Neue IJF-Regeln, Olympia, Schulsport, die neue Lizenz: Der Präsident des DJB, Peter Frese, zu aktuellen Diskussionen im Judo

Abbildung „Man braucht auch Glück“Peter Frese (links) mit IJF-Präsident Marius Vizer, Claudia Malzahn und Ole Bischof

Am Rande des Düsseldorfer Judo Grand Prix 2013 sprach Peter Zarth mit dem Präsidenten des Deutschen Judo-Bundes.

Frage: Herr Frese: Deutsche Meisterschaften, die neuen IJF-Regeln in Riesa - da hat es Irritationen gegeben. Wie sehen Sie die Zukunft der Regeln?

Peter Frese: Das ist zum jetzigen Zeitpunkt sehr schwer zu sagen. Ich bin vorsichtig mit einer Aussage wie sich das entwickelt. Ich habe heute beim Judo Grand Prix in Düsseldorf das erste Mal auf internationaler Ebene die Kämpfe unter den neuen Regeln gesehen. Ich bin überrascht wie schnell man zum Beispiel einen Shido bekommt. Die zählen eigentlich nicht so viel, Techniken zählen mehr. Ich bin gespannt wie sich das bis zur Verabschiedung im August nach den Weltmeisterschaften in Rio darstellt. Flapsig ausgedrückt: Ich hänge selber etwas in der Luft und weiß nicht, was wirklich davon bleibt oder was noch verändert wird.

Frage: Sehen Sie dennoch den Judo Grand Prix in Düsseldorf aber auch zuvor Paris als Möglichkeit zum Ausprobieren der Regeln?

Peter Frese: Ich sehe das so: Es ist eigentlich schade, dass so ein tolles Turnier zum Ausprobieren genutzt wird. Aber hier haben wir die besten Athleten am Start, hier haben wir Weltmeister, Olympiasieger, Europameister, Asienmeister. Hier kann man sehen, ob die Regeln wirken, weil wir hier auch qualifizierte Trainer haben, die sofort auf die veränderten Regeln reagieren. Das ist ein entscheidender Punkt. Der erste Wettkampf, da geht man noch relativ locker rein, da weiß man nicht was kommt. Von dem Moment an, an dem die Regeln gelten, versuchen die Trainer, die Regeln zu nutzen. Das ist insgesamt also ein gutes Versuchsfeld. Es darf aber nicht auf Kosten der Athleten gehen.

Frage: Gehen wir zu einem anderen Thema über, zum neuen Olympiazyklus nach den Olympischen Spielen in London. Wir haben jetzt gerade den neuen Kader gelesen im Judomagazin. Wie wollen Sie im DJB das deutsche Judo-Team im neuen Olympiazyklus aufstellen?

Peter Frese: Wichtig ist erst einmal, dass die Trainer mit den Athleten sprechen: Und zwar, wie sie sich ihren weiteren Werdegang vorstellen, aber nicht nur über ein oder zwei Jahre, sondern über vier Jahre. Ziel ist die Jugend. Den jungen Leuten muss man Chancen eröffnen – das ist auch hier heute schon geschehen. Viele junge Leute hat man hier kämpfen lassen. Wir müssen die ins Wasser schmeißen, das haben wir solange ich Präsident bin immer gemacht. Wir haben immer nach dem Olympiajahr einen Neuaufbau gestartet. Je früher wir mit dem Neuaufbau starten, desto besser ist es.

Frage: Glauben Sie, dass Sie bis Rio in allen Gewichtsklassen besetzt sein werden, also auch die 66-Kilo-Klasse?

Peter Frese: Also, unser Wunsch, unser Anspruch ist es, dass wir in jeder Klasse Teilnehmer dabei haben. Aber bei der internationalen Konkurrenz wäre ich froh, wenn wir fünf oder sechs Männer in Rio am Start haben und genauso viele Frauen.

Frage: Themenwechsel: Judo und Schulsport. Wie sehen Sie die Bedeutung des Schulsports für die Entwicklung des Judos in Deutschland?

Peter Frese: Wir müssen mehr auf die Schulen zugehen, wir müssen aber auch von den Schulen ein Feedback bekommen. Das Hauptproblem ist: In einer Schulklasse mit 30 Kindern möchten zehn Kinder Fußball spielen, nur einer will Judo machen. Ich bin der Meinung, man muss den Kindern die Chance geben, auch außerhalb der Schule Judo zu machen. Oder eine andere Sportart zu betreiben, oder ein Instrument zu lernen. Sonst kommen nur die Massensportarten zum Tragen und die Sportarten, die vielleicht auch ein schönes Potential haben, nicht. Ein großes Problem für den DJB ist: Wir haben 16 Bundesländer und jedes hat eigene Regeln, da sind die Landesverbände näher dran. Entscheidend bleibt  die Eigeninitiative von Vereinen. Wenn das dort  klappt, dann haben wir eine Chance. Das kann man nicht von oben nach unten verordnen.

Frage: Kommen wir zum Thema „große Wettbewerbe“ in Deutschland: Sindelfingen und Düsseldorf zum Beispiel, können diese gehalten werden?

Peter Frese: Also Düsseldorf – das wird sehr schwer, obwohl wir gute Unterstützung vom Land und von der Stadt haben. Die IJF hilft uns auch, aber die Anforderungen werden jährlich größer. Früher haben wir, um nur ein Beispiel zu nennen, in SD-Qualität produziert. Jetzt haben wir HD-Qualität, d.h., 30-40-tausend Euro Mehrkosten. Der Standard dieser Veranstaltungen hat sich immer mehr angehoben, und wir haben beschlossen, dass wir nur bis zu einem bestimmten Punkt Geld ausgeben. Wir brauchen einen Grand Prix, wir brauchen ein Judo-Highlight in Deutschland. Sonst gehen wir unter wie andere Sportarten. Aber irgendwann kommt der Punkt, wo wir uns das nicht mehr erlauben können, und da müssen wir wirklich mit spitzer Feder rechnen. Wenn ich mir einen Vorwurf mache dann den, dass ich es in meiner Zeit als Präsident nicht geschafft habe, dauerhaft gute Sponsoren an Land zu ziehen. Aber: Es gibt im Grunde in Deutschland auch keine Judo-Sponsoren. Es gibt Judo-Mäzene – und das ist das Problem.

Frage: Das sehe ich ähnlich. Wie sind Sie für Brasilien 2013 aufgestellt, kurzfristig, und für die EM in Budapest?

Peter Frese: Wir fahren ohne große Erwartungen zur EM und zur WM 2013. Ich denke mal, hier müssen wir den Trainern eine Chance geben Leute zu testen. Das haben wir immer gemacht im ersten Jahr nach Olympischen Spielen - und das ist auch gut gelaufen. Wenn man jetzt schon Druck aufbaut, handelt man falsch. Jetzt muss man Einfaches berücksichtigen. Ich nenne Beispiele: Heide Wollert hat die Klasse gewechselt – kommt sie nun mit 70 Kilo klar? Kerstin Thiele ist verletzt – kommt sie mit 78 Kilo klar? Oder: Wie kommen die „jungen Wilden“ bis 81, bis 90, bis 100 Kilo rein? Ich glaube, auch hier muss man den Trainern eine Chance geben und nicht eine Milchmädchenrechnung aufmachen. Abgerechnet wird nämlich immer nach vier Jahren bei den Olympischen Spielen. Bis jetzt haben wir da immer Glück gehabt. Man braucht auch Glück. Leistung zählt leider nicht immer, sondern nur Medaillen. Und wir haben das Glück gehabt, zur Leistung auch Medaillen zu bekommen. Wir haben viele Talente, viele gute Leute. Das Schwierige wird sein, dass sie die Intensität zum Training haben, den richtigen Partner und die Finanzmittel. Wir schicken sie dann in die Welt – und natürlich müssen sie auch noch gesund bleiben.

Frage: Schaden dem aktuellen Judo eigentlich Diskussionen um die neue Wettkampflizenz? Die hat ja zu Irritationen geführt. Dabei ist die Lizenz mit den sechs Euro Gebühr im Grunde genommen doch kein Thema – wenn man das nur richtig kommuniziert. Aber selbst gegen die sechs Euro gibt es ja Widerstände.

Peter Frese:  Die Leute verstehen nicht, warum wir überhaupt eine Wettkampflizenz haben. Die Wettkamplizenz bräuchte man normalerweise nicht, wenn man nicht aus juristischen Gründen alles nachweisen müsste, schon wegen des Antidopingkampfes. Die Situation sieht so aus: Die Vereine melden beispielsweise einen Athleten, einen jungen Mann, 16 Jahre alt. Der kämpft bei der DM und ist gedopt – und angenommen, wir hätten nun keine Vereinbarung und würden ihn sperren. Dann würde sich sein Vater einen Anwalt nehmen und sagen: Mein Sohn ist nie aufgeklärt worden, mein Sohn hat es nicht gewusst, er hätte auch kein OK gegeben dazu. Dann stehen wir als DJB vor einer juristischen Auseinandersetzung, und wenn wir die verlieren, dann verlangt das Bundesinnenministerium von uns Fördergelder in nicht unbeträchtlicher Höhe zurück. Das kann in die Hunderttausende gehen.

Diese Wettkampflizenz ist nun aber nichts weiter als eine Einverständniserklärung, dass man erklärt, man darf nicht dopen. Und zwar mit allem was dazu gehört. Sie ist also auch eine Einverständniserklärung dahin gehend, dass man mit einer Sportgerichtsentscheidung einverstanden wäre, kein Einzelrichter, um Kosten für beide Seiten zu sparen. Außerdem wird damit in zulässiger Weise auf den ordentlichen Rechtsweg verzichtet, denn der ordentliche Rechtsweg kann Jahre dauern. Und der dritte Punkt bei der Lizenz ist der, dass man einverstanden ist, die Daten zu veröffentlichen. Wobei das jederzeit widerrufen werden kann.

Ich bin froh, dass wir die Lizenz haben, und ich bin auch überrascht davon, wie viele Lizenzen wir haben. Es gibt sehr viele Athleten, die bräuchten die Lizenz gar nicht, sie aber dennoch gekauft haben. Der entscheidende Punkt ist der: Angenommen, wir hätten jetzt einen Dopingfall. Dann können wir denjenigen ohne Probleme bestrafen. Da gibt es kein ‚Entkommen‘, weil er sich den Lizenzbedingungen mit der Folge unterworfen hat, dass auch der Staat von uns kein Geld mehr zurück verlangen darf. Auch der entsprechende Landesverband hätte nichts zurückzuzahlen, der Bundesverband nicht. Diese Lizenz ist also nichts weiter als eine Absicherung der Landesverbände und des Bundesverbandes.

Die Lizenz kann elektronisch verlängert werden, vom eingesparten Geld haben wir einen großen Teil genommen und für die Athleten eine Versicherung abgeschlossen, so dass sie bei Turnieren, bei denen eine Wettkampflizenz vorgelegt werden muss, zusätzlich versichert sind. Denn die Sporthilfeversicherung und die normale Versicherung reichen nicht aus.

      

Peter Zarth, zunächst Redakteur der FAZ, arbeitete als Pressesprecher des Flughafens Düsseldorf und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, in dessen Vorstandsorganisationseinheit Politik- und Wirtschaftsbeziehungen er aktuell wirkt. Als freier Journalist schreibt er regelmäßig auch ehrenamtlich für den DJB. Zarth ist Träger des 1. Kyu.

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